Eddie (Adolf, Ady, Jack) Rosner

26.05.1910 - 08.08.1976 in Berlin

 

Als Letztes von insgesamt 6 Kindern in einer kaufmännischen jüdischen Familie fällt das „Wunderkind“ bereits mit 5 Jahren durch seine außergewöhnliche musikalische Begabung auf. Seine Mutter, die selbst Klavier spielt, fördert seine Fähigkeiten. Eine fundierte Musik–Ausbildung in Violine und Klavier wird ihm zuteil, zunächst am Berliner Stern - Konservatorium, dann an der Hochschule für Musik (bei Carl Flesh).
Schon mit 16 Jahren spielt er als junger Musiker bei verschiedenen Tanz-Bands, die in Berlin der 20er Jahre zahlreich entstehen (z.B. bei A. Spiegel, Rose Petösi, Mitja Nikisch). Er wechselt bald zur Trompete, ergriffen durch die neue Musik-Richtung und spielt sein Leben lang Kornett.

 

Später, in Russland, entsteht eine Legende, dass diese Trompete aus purem Gold sei. Dieses Märchen ist dem unverkennbaren, weichen und transparenten Sound des Instrumentes dieses Musikers zu verdanken.

Mit 18 Jahren, Anfang 1929, bei einer gemeinsamen Session der Mitja Nikisch Band mit den damals schon berühmten Weintraubs Syncopators, macht er Bekanntschaft mit dem Leiter Stephan Weintraub, der ihn sogleich in sein Orchester aufnimmt. Bereits im August macht er bei den Aufnahmen der Titel „Sweet Sue, just you“, „Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln gehen“, „Ich kauf’ mir ’ne Rakete“, „Wenn wieder Frühling ist“ usw. mit. Der über 10 Jahre älterer Weintraub wird zu seinem Mentor und Förderer. Von 1929 bis 1934 tritt das Orchester unzählige Male bei verschiedensten Gelegenheiten in Deutschland auf und bereist mit Konzerten fast alle europäischen Länder. Es entstehen mehrere Filme, in denen die Musiker spielen, darunter „Heute kommt’s drauf an“ mit Hans Albers, „Ich und die Kaiserin“ mit Willi Fritsch und nicht zuletzt „Der blaue Engel“ mit Marlene Dietrich.

 

Eine große Anzahl von Schallplatten wird aufgenommen, Radiosendungen folgen.
1934 beim Besuch einer Jazz-Kneipe in Brüssel begegnet Rosner Louis Armstrong. Beim „cutting contest“ belegt er hinter Satchmo den zweiten Platz und beeindruckt den berühmten Trompeter so sehr, dass dieser ihm sein Photo mit der Aufschrift: „ To the white Louis Armstrong from the black Ady Rosner“ schenkt. Diese Begegnung scheint Rosner zu beflügeln, ihn in seinem Wunsch, eine eigene Jazz Band zu gründen zu bestärken. Er verlässt die Weintraubs und begibt sich (auf Umwegen über Dänemark, nach Deutschland konnte er nicht mehr) nach Polen, wo man ihm diese Möglichkeit eröffnet. Rosner wird heute als Gründer des polnischen Jazz angesehen, ist er dort doch der Erste, der eine Jazz Band etabliert. Von dort aus startet Ady Rosner Orchester Tourneen nach Frankreich (Cote d’Azur, Montpellier, Süd Frankreich und schließlich 1938 – Paris, Salle Pleyel mit Maurice Chevalier), wieder Dänemark, Lettland usw. Bei Columbia in Paris werden 5 Schellack Platten mit 10 Titeln aufgenommen, eins davon wurde leider nie herausgegeben. Zurück in Warschau 1939 begegnet er Ruth, der Tochter der jüdischen Schauspielerin Ida Kaminski (1966 bekommt der Film „Das Geschäft in der Hauptstraße“, in dem Ida die Hauptrolle gespielt hat, den Oskar). Ihre Heirat wird von Ida verweigert (entnommen dem Buch von Ruth Kaminski „I don’t want to be brave anymore“).

 

Sie bleiben schicksalhaft zusammen, während Warschau im September von Nazis überfallen und zerbombt wird. Der deutschsprechende Rosner ermöglicht der Familie Kaminski die Flucht und rettet sie vor dem sicheren Tod im Warschauer Getto. Zu Fuß schlagen sie sich zusammen mit dem Rest des einst so berühmten Ady Rosner Orchesters unter abenteuerlichen Umständen nach Osten (Bialystok) durch, wo sie in die „Obhut“ der russischen Armee gelangen. Dort erhält Rosner Ausweispapiere, in die er Ruth Kaminski als seine Frau eintragen lässt. Weiter geht es nach Lemberg (Lwow). In der Kneipe „Bagatelle“ tritt die Band auf und wird bald durch die den Russen bisher völlig unbekannten Rhythmen und komödiantischen Einlagen zu einem aufsehenerregenden Ereignis in der Stadt.

 

 

Der begeisterte Jazz Anhänger, Pantelejmon Ponomarenko, damals der 1. Sekretär der Kommunistischen Partei der Belorus SSR, nimmt die Band (und Rosner) unter seine „Fittiche“, nachdem er einen der Konzerte miterlebt. Dank seiner steten finanziellen Hilfe und persönlicher Unterstützung gründet Rosner das erste staatliche „Jazz Orchester der BSSR“ vom Format einer Big Band und avanciert zwischen 1940 und 1945 zum bekanntesten und bestbezahlten Musiker und Komponisten der gesamten Sowjetunion. Er lebt im feinsten Hotel „Moskau“ im Herzen der Stadt, belegt eine ganze Etage. Unzählige Konzerte quer durch das riesige Land, auch an der Front (Transport im eigenen Zug), Radiosendungen, Plattenaufnahmen bringen ihm eine sagenhafte Popularität.

 

Marchall Rokossovski verleiht ihm die Tapferkeitsmedaille. Es gibt bald kaum einen von 300 Millionen Bürgern, der seinen Namen nicht kennt. Seine Kompositionen/Lieder werden zu Evergreens. Stalin selbst beordert im Sommer 1941 das gesamte Orchester nach Sotschi und lässt das komplette Programm für sich alleine im sonst leeren Konzertsaal spielen. Stalin wird zufriedengestellt, das Orchester überlebt...

 

Nach Ende des Krieges und Beginn des Kalten Krieges 1946 ändert sich die Situation für Rosner über Nacht dramatisch. Zum Klassenfeind erklärt und als dekadenter kapitalistischer Musiker in der Öffentlichkeit attackiert und abgewertet, versucht Rosner mit Ruth und seiner ersten Tochter aus der SU auszureisen... ohne die dafür notwendige Genehmigung einzuholen. Ida Kaminski ist bereits zuvor mit ihrem Mann und Sohn legal nach Polen abgereist... Ruth bleibt jedoch mit Rosner zurück.

 

Im Frühherbst 1946 werden sie in Moskau verhaftet. Rosner wird im gefürchteten Gefängnis Lubjanka 11 Monate lang in Einzelhaft gehalten, seine Lebensgefährtin wird nach Kasachstan deportiert. Unter Schlägen und ständiger Misshandlung unterschreibt er schließlich sein „Geständnis“, das ihm das Überleben sichert. Statt Hinrichtung als „Verräter der Heimat“ und „Feind des Volkes“ erfolgt im Oktober 1947 die Deportation nach Chabarowsk, dann, nach etwa 1 ½ Jahren – kurze Verlegung nach Tschukotka und, im Spätherbst 1949, endgültig nach Magadan, Hauptstadt des GULAG’s. Amnestie am 12.06.1954 nach Stalin’s Tod. Er wurde erst vor einigen Jahren rehabilitiert.

 

Aber auch in Haft hört Rosner nicht zu arbeiten auf, General Derewjanko - Zar und Gott von „Dalstroi“ (Gulag) in Kolyma - verlangt nach Unterhaltung. Gründung des Lager- Orchesters aus dem Bestand der „Kultbrigade“, die bis dahin von Marina Prokofieva-Bojko geleitet wurde. Nächtelanges Arbeiten an Partituren, tagsüber Einüben, „Eintrainieren“ der Musiker, abendliche Auftritte im WSO Club im magadaner Lager. Lange 5 Jahre künstlerischer Zusammenarbeit und persönlicher Verbundenheit mit Marina bilden eine freundschaftliche Beziehung, die auch nach der Trennung 1955 viele Jahre überdauert. 1953 wird ihre Tochter Irina in Magadan geboren.

 

Nach der Entlassung kann Rosner nach Moskau zurückkehren und dank erneuter Unterstützung von Ponomarenko, der nun Kulturminister ist, gründet er Ende 1954/ Anfang 1955 in Moskau eine Big Band (staatliches Estraden Orchester), die bald als Russlands Beste erneut Bekanntheit erlangt. Das Orchester spielt, wie ein Organismus, unverkennbar durch Rosners Klang. Dennoch muss er sich bei der Auswahl der Musikstücke der sowjetischen Zensur beugen, mit den Jahren immer mehr. Sein Repertoire ist dem kommunistischen Geschmack ausgeliefert. Das Orchester spielt trotzdem weltbekannte Stücke (siehe unser CD Album), jenseits des offiziell erlaubten Programms – einfach unter dem allgemeinen Namen „Blues“.

 

Russland verdankt Rosner eine ganze Generation namenhafter Musiker und Sänger, die in seine „Schule“ gegangen sind. Dennoch wird er stets beobachtet, man untersagt ihm sogar Tourneen in den sozialistischen Nachbarsländern, wo man ihn auch gut kennt. Er ist häufig irritiert, genervt, sucht seine im Ausland (USA, Brasilien) lebende Verwandte.

Rein privat darf er 1968 anlässlich der Heirat seiner ersten Tochter nach Polen und dann in die Tschechoslowakei reisen. In Prag wird er vom Bürgermeister empfangen, trägt sich in das Ehrenbuch der Stadt ein und erhält eine Trompete mit Widmung der Regierung.

 

Dank des Gesuchs seiner in den USA lebenden Schwester an Präsident Nixon, der 1972 zum Staatsbesuch nach Russland reist, geschieht das Unglaubliche: Rosner wird die Ausreise in die USA gestattet! Im Januar 1973 verlässt Rosner nach 33 Jahren die Sowjetunion mit seiner Ehefrau Gali, die er 1957 geheiratet hatte und die ihm seit dann treu zu Seite stand, und reist (über USA) in seine Heimatstadt Berlin. Einige Monate später folgen ihm Tochter Irina und Gali’s Tochter Valentina nach.

 

Rosner starb an Herzinfarkt am 08.08.1976 in seiner Heimatstadt - in Deutschland völlig unbekannt und von den Russen in die Vergessenheit verbannt. Sein Name wurde dort bis 1994 nicht mehr erwähnt, seine Musik nicht mehr gespielt, die Masterbänder der eingespielten Aufnahmen sind „verschwunden“.